


Der Lauf des Lebens-Lebenslauf-Verlauf meines
Lebens
und meine "Kunst" zu überleben
In eine Familie, die nur aus Kinderreichtum bestand, wurde ich in Nahbollenbach
hineingeboren. Das einzige Mal, dass meine Eltern sich großzügig
mir gegenüber zeigten, war bei meiner Namensgebung,
Harma-Regina Christina sollte ich heißen. Natürlich war das übertrieben
und alle sagten nur "Gina" zu mir. Noch heute bin ich der festen Überzeugung,
dass ich am falschen Haus ausgeliefert wurde.
Immer kränklich und blass, wie meine Gesichtsfarbe war, verlief auch meine
Kindheit. Die ersten drei Jahre, die angeblich die wichtigsten im Leben sind,
da hier das Fundament und die Grundsteine fürs weitere Leben gelegt werden,
musste ich schon früh ums Überleben kämpfen, was ich allerdings
erst dreißig Jahre später erfahren sollte.
Eine Aussage meiner Oma Alwine sollte mich die weiteren zehn Jahre begleiten.
Noch heute höre ich die Worte: "Dat lo Kind is wie e Hirbstkatz,
imma farotzt un krank!" Wahrscheinlich war gerade dieser Zustand ausschlaggebend
für mein weiteres Leben und meine Charaktereigenschaften, die da sind:
durchhalten - durchbeißen - durchstehen, oder ganz einfach gesagt: "Da
musst du durch!"
Nachdem alle Omas an meine beiden älteren Geschwister vergeben waren, setzte
automatisch der Selbsterhaltungstrieb bei mir ein und prägte mein weiteres
Leben. In der "Mitte" von vorerst fünf Kindern stehend lernte
ich nach allen Seiten meine Ellbogen einzusetzen.
Mit circa fünf Jahren hatte ich zum Leidwesen meiner Eltern schon bewusst meine
künstlerische Ader entdeckt. Ich war begeisterte Verfechterin der
Wandmalerei, bevorzugt im Schlafzimmer, da dieses Zimmer durch meinen Gesundheits-
beziehungsweise Krankheitszustand "fast ständiger Aufenthaltsort"
war. Hier ver- oder vielmehr übermittelte ich wie bei den frühen
Höhlenzeichnungen meinen nachfolgenden Geschwistern ihren vermeintlichen
Standort. Die Zeichnungen verdeutlichten allzu krass, wo sie hineingeboren
wurden. In Erinnerung an diese Zeit entwickelte ich später eine regelrechte
Abneigung gegenüber "Blumenbildern" und Blumenmotiven! Doch
gleichzeitig entstand meine Vorliebe, mit den Fingern zu malen. Dieser Technik
bin ich bis heute treu geblieben. In meinen meist großformatigen Bildern
benutze ich auch jetzt noch in erster Linie meine Finger und äußerst
selten einen Pinsel zum Malen.
Es war in den langen Wintermonaten: wie immer krank und in eine Decke gepackt,
schlich ich mich unbeobachtet aus dem Bett, mir die Langeweile vertreibend,
an die zugefrorenen Fensterscheiben. Ich malte mit meinem Atem und den Fingern
"Eisblumen" um die Wette. Dies war meine alljährliche Eiszeit!
Nur meine "Bachwacke" im Bett strahlte etwas Wärme aus.
Gleichwie in der Kammer des armen Poeten von Carl Spitzweg fanden in meiner darstellbaren
Gedankenwelt, die ich als Kind schon versuchte, anhand von Zeichnungen zu übermitteln,
nur wenige "kleine Dinge" Platz, die ich mein Eigentum nennen
konnte.
Und hier entwickelte sich wahrscheinlich unmittelbar mein Wesen, mein "Mensch"-
sein, mein Gemeinwesen, das sich Jahre später in meiner Bilderfassung bestätigen sollte
und in meinen Bildern verwirklicht und beeinflusst wurde.
Keine Durchsichtigkeit, sondern Schärfe und Klarheit im Zentrum "Mensch"
bestimmte die Thematik und eine Fülle von Details, oft übersteigert dargestellt,
basiert auf diesem Einfluss meiner Winter-Kindertage.
Und es war wohl schon damals ein Grundstein mit der Inschrift: "So
sollte die Welt nicht sein" in meinem Fundament "Leben" eingebaut,
die meine Bilder prägen sollte!
Mein erster und größter Fan damals war auch gleichzeitig mein erster
Förderer, Förderer meiner "Begabung", um es mit seinen Worten zu sagen, einer
Begabung, die seiner Meinung nach in meinen krummen Fingern liegen würde.
Diese Aussage stammte von Dr. Weber, meinem damaligen behandelnden Arzt.
Von ihm bekam ich meinen ersten Bleistift geschenkt und bei jedem Besuch versorgte
er mich mit Zeichenblättern. Als Gegenleistung erbat er sich einige meiner
Zeichnungen und Bilder.
Der geschenkte Bleistift war eines der "kleinen Dinge", die, beziehungsweise
den ich fortan wie einen Schatz unter der Matratze fern jeder Begierde meiner
kleineren Geschwister versteckte. Zuvor benutzte ich Gipsstücke, Holzkohle
und abgebrannte Streichhölzer zum Malen, die ich meist in der Rocktasche
mit mir führte. Meine Lieblingsgeschichte zu der Zeit stand in enger
Verbindung mit meinen Malutensilien: " Das Mädchen mit den Schwefelhölzern!"
Nach mehreren "unfreiwilligen" Kuraufenthalten bekam ich Farbe, mein
erst rötliches Haar wurde "rot" und das blasse Gesicht wurde
von Sommersprossen übersät. Und so wie die Sommersprossen den kalten
Winter hartnäckig überlebten, so überstand auch ich jedesmal den Winter.
Schon früh setzte ich mir Ziele und versuchte diese zu erreichen. Aus der
Zeit stammt der Spruch:" Ziele setzen, Ziele erreichen, nächstes Ziel!?"
Doch oftmals drehte sich das Karussell ohne mich, zuschauend und davor
oder daneben stehend.
Und anders als Käthe Kollwitz sah ich die Welt nicht mit liebevollen Blicken!
In der "Hoffnung", dass die mageren sieben Jahren endlich vorbei seien,
setzte ich wie in der biblischen Geschichte meine ganze "Erwartung"
auf die darauf folgenden "fetten" Jahre.
Der Anfang war nicht schlecht. Da mir der Sommer 1960 den Absturz vom Bollenbacher-
Felsenknibbsche bescherte und ich im Winter des selben Jahres den Einbruch in die zugefrorene
Nahe unbeschadet überstand, strapazierte ich meinen Schutzengel nur noch
gelegentlich, bis ich ihn im Jahre 2000 wieder voll in Anspruch nehmen musste.
Und es zeigte sich, dass Kellerkinder noch Jahre später, alleine gelassen,
solche beengenden Räume meiden; die "Zeit" holte mich wieder ein.
Es war ein "Auf und Ab" der Kraft.
Da es heißt, jeder Mensch habe einen Doppelgänger auf der Erde,
konnte ich mein Double in Georg-Weierbach in Augenschein nehmen. Selbst der
Name Regina war der gleiche.
Eine weitere Doppelgängerin besaß schon in früher Kindheit eine
"bunte Villa", einen kleinen Onkel und ein Pferd mit schwarzen Punkten.
Ich strebte nicht nach einer Villa oder der gleichen. Ich war zufrieden, obgleich
ich zugeben muss, dass ich mir einen für mich finanziell unerschwinglichen
Malfarbenkasten wünschte. Zielstrebig bearbeitete ich Opa Otto in Richtung
Farbkasten - mit Erfolg. Er schenkte mir die ersehnten "Farben" mit
der Auflage: "Das erste Bild, das damit gemalt würde, sei ihm!"
Meine Errungenschaft wurde fortan behütet wie einst der Schatz der Nibelungen.
Zu dieser Zeit malte ich mit Vorliebe Märchenbilder. Eine komplette Serie von
Märchenmotiven entstand. Doch ergab es sich zu dieser Zeit,
dass ich nicht die liebe Prinzessin, sondern eher die widerspenstige Gestalt
der Hexe verkörperte. Deutlich gab man mir zu verstehen, was man mit "rothaarigen"
Hexen früher gemacht hatte und wie es in Geschichtsbüchern überliefert
und nachzulesen sei!
Bei dem Gedanken wurde es mir immer unnatürlich heiß!
Ich trotzte und kämpfte um Kleinigkeiten, wie beispielsweise um ein rotes
"Sommersonntagskleid", welches natürlich nur bei Sonnenschein
und an Sonntagen getragen werden durfte. All zu schnell wuchs ich aus dem Kleid
heraus. Um so unbegreiflicher empfand ich die Tatsache, dass ich meine Cousine
an einem Wochentag in einer Regenpfütze spielend in meinem roten Kleid
antraf!?
An diesem Tag entstand das Bild der Struwelliese. Wie ein roter Leitfaden durchzog
nunmehr "Rot" meine Bilder. Noch heute steht die Farbe Rot in meinen
Arbeiten für "Leben und Kraft".
Nach meiner "Märchenphase " malte ich mit circa 12 Jahren der
Idar-Obersteiner liebstes Gebäude: "Die Felsenkirche".
Es sollte auch das letzte Mal sein. Diesem Umstand, dass ich keine "Felsenkirchen
Malerin" sei, verdankte ich später die Aufnahme in den Kunstverein
Obere Nahe.
Meine Felsenkirche "ziert" ein Wohnzimmer in der Oberdorfstraße
in Nahbollenbach.
Gerne Blicke ich auf meine Schulzeit zurück. Von der ersten Klasse an wurde
ich von den Lehrern als Talent bezeichnet. Alle Lehrer setzten sich für das
"Naturtalent" ein. Noch heute denke ich an ein symbolträchtiges Storchenbild,
das ich in der ersten Schulklasse gemalt hatte, in Erinnerung an den Kinderreichtum
unserer Familie. Ich war begeistert, als meine Lehrerin mir eine Ausstellung
im Schaufenster der Buchhandlung Schulz-Ebrecht in Idar-Oberstein vermittelte,
innerhalb von nur wenigen Tagen waren meine Bilder verkauft. Amerikanische Touristen
erstanden die Bilder, und ich war mit meinen vierzehn Jahren über den Verkaufserlös
von 200 Mark damals stolz wie Oscar.
Meine Zeichenmappe diente den Lehrern für andere Klassen und Schulen als Vorzeigemappe,
was mich mit Stolz erfüllte. Ich erhielt stets die Note sehr gut und den Zusatz:
"Regina ist außerordentlich begabt und verdient weitere Förderung!"
Der Einsatz meiner Lehrer scheiterte kläglich an meinem Vater.
Er verkündete baldigen Zuwachs in Gestalt des sechsten Kindes und begründete
seine ablehnende Haltung damit, dass er immer all die Jahre wegen der Kinder auf
vieles verzichtet und vieles entbehrt habe, und es allmählich an der
Zeit sei, dass etwas "zurück" - komme!
Mit dem Satz: "Dat is doch e Hungerleider Beruf, un setzt dem
Märe ke Flause in de Kopp!" sah er das Thema Kunst als erledigt
an. Er sollte "Recht" behalten, denn später erfuhr ich von einer
ganz anderen Seite, dass es "hungerleidende- Künstler" gebe.
Den Aufnahmebescheid der Kunstschule erhielt mein Vater Monate später,
was ich aber wiederum erst Jahre später erfuhr.
Und "Harma" erkannte ihr Schicksal!
Ich hatte es wohl richtig erkannt, dass der Kampf verloren war. In späteren
Jahren zeigte sich in vielen meiner Arbeiten: "Reduziert dargestellt, menschliche
Gefühle wiedergebend, mit Themen sich identifizierend und aufgreifend,
menschliche Verhaltensformen aufzeigend!"
Eben typisch "Rieth", ganze Bildflächen einnehmend, malte ich
gerne großformatige Bilder. Augen, Hände und Gesichter spielten meist
eine große Rolle, sie sprachen alles aus. Ich musste es wissen, dass man
nicht immer im Einklang mit "allen und allem" und sich selber steht,
wenn man sich vorwagt, verändert und häufig anders malt, als es allgemein
üblich ist. Im gleichen Jahr erlitt ich bei einem Autounfall schwere
Verletzungen. Es zeigte sich, was wirklich wichtig ist im "Leben"!
Die sportliche Karriere musste ich auch aufgeben. Mit den Banalitäten des
Alltags fertig zu werden, Erlerntes wieder erlernend und nach vorne schauend,
begann ich wieder neu.
Nach meiner Heirat wurde nach Opa Otto nun mein Mann mein Förderer und
Finanzier meines Kunstschaffens. Unmittelbar nach der Geburt unseres Sohnes
fing ich wieder an, verstärkt zu malen und zu zeichnen. Es entstand das
Bild "Inneres Auge".
Unter starkem Blutverlust leidend sah ich nach der Geburt mein Leben vor meinem
inneren Auge vorbeiziehen, ich sah, was mir im Gedächtnis geblieben war, und es
hat mein leben Revue passieren lassen. Einschnitte und Erinnerung haften bis
heute in meinem Innern. Der Maler M.Franz war damals mein Ansprechpartner bei dem
Bild "Inneres Auge". Die Freundschaft wurde gepflegt und war eine
wesentliche "Bereicherung" auch für das Kunstverständnis
und die zahlreichen Gespräche, die sich daraus ergaben. Auf Anregung von
H.I. Dommer signierte ich meine Bilder ab 1986 mit dem Namen Harma, der
eine Ableitung von Hermelin mit der Bedeutung "selten" ist. Als
die Tochter zur Welt kam, wurde das Bild "Das Erbe unserer Kinder"
fertiggestellt. Und "Janina" war seitdem prädestiniert, als Modell
herhalten zu müssen, eine Mona Lisa. Wenn es mir gesundheitlich möglich ist,
beteilige ich mich regelmäßig an Ausstellungen und engagiere mich bei vielen
Veranstaltungen in Sachen "KUNST".
Ich wünsche mir noch viele kreative Jahre, in denen ich meine Gedanken
und Gefühle weiterhin in Bilder umsetzen kann.
Meine Wandschmücker hängen über dem Sofa, sie sind das Gegengewicht
zu allen anderen Bildern, ich bin Sternzeichen WAAGE, es gleicht sich aus
!
In Gedanken an Oma Alwine, deren Sprüche mich stets begleiteten, stelle
ich fest: Herbstkatzen, sind zäh und verfügen auch über mehrere Leben.
Ich danke meiner Familie, meinem Mann Gerhard, Sohn Torsten und Tochter Janina
für die Unterstützung in all den Jahren, meiner besten Freundin Klaenet,
Kerstin Schupp, und allen, die mich so nehmen, wie ich bin.
Ihr wisst ja, wie ich zu sagen pflege:
"Wer mich so nicht mag, der braucht mich auch
nicht anders!"
Harma-Regina Christina Rieth

















