


Dr. Armin Peter Faust
für Harma - Regina Rieth
Bilder und Betrachter, eine Solidargemeinschaft
"Der Steppenwolf war ein Mann von annähernd fünfzig Jahren",
so heißt es im 1.Kapitel des berühmten Buches von Herrmann Hesse,
und in J.W. Goethes "Faust" wird angedeutet, dass die gleichnamige
Hauptfigur auch ungefähr dieses Alter hat, als die folgenschwere Einlassung
mit dem Teufel passierte.
Gedanken zum Geburtstag von Harma-Regina Rieth
Für Männer scheint das 50. Lebensjahr eine Art Schwellenjahr zu sein;
sie heben ab, malen kühne Selbstbildnisse als Napoleon, Mann mit Goldhelm
oder gar als Jesus Christus. Andere leisten sich erotische Kapriolen, verlieben
sich Hals über Kopf in Vertreterinnen der Enkelgeneration und wollen das
Klischee widerlegen, man könne kein "neues Leben" anfangen.
Wieder andere gründen Parteien, gehen in die Fremdenlegion oder mit ihren
Enkeln in den Sandkasten, sagen zu ihrer Ehefrau "Mutti" oder kaufen
sich einen Ferrari - auf Kredit!
Ja, so sind die Männer mit 50!
Und die Frauen, wird man neugierig fragen.
Schauen wir uns in Literatur und Kunst um, dann entdecken wir kaum Auffälligkeiten,
was das Verhalten anbetrifft: Sie nabeln ihre Kinder ein zweites Mal ab und handeln
offenbar ganz vernünftig, so als gäbe es diese Schwelle nach einem
halben Jahrhundert gar nicht. Von Ausbruch, Rollenverweigerung und Rebellion
hört man kaum etwas, und auch das Bewusstsein von der Familie ausgenutzt
worden zu sein, verursacht meist keine Nervenzusammenbrüche. Und das kann
nur damit zusammenhängen, dass Frauen näher am Leben sind, mit beiden
Beinen auf dem Boden der Tatsachen stehen oder - und das halte ich für den
entscheidenden Punkt - das tägliche Einerlei kreativ durchbrechen und bunte
Flecken in den grauen Alltagsteppich wirken. Und dieses Verhaltensmuster, nicht
erst bis zum 50. Lebensjahr mit der Verwirklichung dieser kreativen Träume
zu warten, liegt offenbar im Trend. Wie wäre es anders zu erklären,
dass z.B. die postmoderne Literatur in Deutschland im wesentlichen durch Frauen
geprägt wird. In der Malerei hinkt man da anscheinend hinterher.
Harma-Regina Rieth offenbar nicht, hat sie doch schon vor mehr als 20 Jahren
mit der Verwirklichung ihrer kreativen Träume begonnen.
Vor ungefähr 15 Jahren haben wir sogar zweimal zusammen ausgestellt, und
zwar in einem Geldinstitut. Und obwohl sie sich damals auf einem handtuchgroßen
Geldschein selbst porträtierte, sozusagen als Göttin des Reichtums,
als ins moderne übersetzt Luxuria, sind wir beide in den seither verflossenen
Jahren mit unserer Malerei nicht reich geworden, haben es auch gar nicht darauf
angelegt, so dass das Finanzamt uns wohl für arme Irre hält, weil
wir immer zu in Material investieren und unsere kostbare Zeit opfern, ohne die
Produkte irgendwann versteuerbar zu Geld zu machen. Und dieses Wirtschaftsgebaren
hat sich bis auf den heutigen Tag nicht geändert. Wohl aber wir beide!
Da es in diesem Aufsatz aber um Frau Rieth gehen soll, wird jetzt nur noch von
ihren Bildern die Rede sein.
In einer liebgewonnen Geschichte von Bert Brecht wird von einem Herrn Keuner
berichtet, der einem lange nicht mehr gesehenen Freund begegnet und heftig erbleicht,
als der Freund bemerkt, er habe sich gar nicht verändert. Ich bin sicher,
wenn man die Bemerkung über Frau Rieth machen würde, würde sie
auch erbleichen, denn man hätte sie gründlich missverstanden.
Sie hat sich gewandelt. Manches, was vor 15 Jahren noch an großen Vorbildern
entlang unsicher daher kam, ist nun gefestigt - nicht verfestigt -, Formen und
Farben zeigen das; die Motive sind variabler geworden und zeugen nun eher von
gereiftem Selbstbewusstsein als von tastender Unsicherheit der Anfängerin.
Dennoch wäre es einerseits falsch, von einem eigenen Stil zu sprechen;
das wird man vielleicht in weiteren 50 Jahren tun können. Anderseits hat
sie sich ihre jugendliche Dynamik und Experimentierfreude sympathisch bewahrt
und zu ihrer großen kreativen Stärke gemacht. Und diese Lust am Experiment
wirkt sich nicht nur auf Formen und Farben, sondern auch auf Themen, Motive
und Techniken aus.
Werfen wir einen Blick auf ihre Themen und Motive, dann ist dort am ehesten
eine Konstante zu erkennen, die aber meines Erachtens mit ihrem Charakter zu
tun hat: Da ist ihr Engagement für das Mitmenschliche. Sie mischt sich
ein, weist in ihren Bildern auf Ungerechtigkeiten und politische Schieflagen
hin, blickt auf die Kinder, die Alten und die Unterprivilegierten in unserer
Gesellschaft und verleiht den Benachteiligten ein Gesicht, vor allem aber Augen:
Ob das Kinder oder Frauen aus Bosnien oder Afghanistan sind, ob sie schwarze,
gelbe oder weiße Hautfarbe haben, immer blicken uns die Augen "dieser
unserer geringsten Brüder" an, wie vor 2000 Jahren unser größter
Sozialrevolutionär gesagt hat. Und ich bin sicher, dass Harma-Regina Rieth
auch den noch laufenden unfriedlichen und opferreichen Weltkonflikt thematisieren
wird, und das mit Sicherheit nicht aus der Sicht der Täter, sondern der
Opfer.
Aber wer so engagiert ist malt, wirkt der Verkaufbarkeit seiner Produkte entgegen,
denn wer Unschönes thematisiert , wird keine im klassischen Sinne "Schöne
Bilder" zustande bringen.
Wohl aber gewinnen solche Bilder andere Qualitäten: Sie sind interessant,
anregend, zuweilen sogar aufregend und provozierend. Kopf und Herz des Betrachters
werden stimuliert, das soziale Bewusstsein wird geschärft, Mahnbilder entstehen
so und erinnern den Betrachter an das, was der Mensch ist und was er versäumt
zu sein.
In ihren besten Bildern wird die Intention zu mahnen, zu provozierenden Zeichen
verdichtet, zum Bildmenetekel wie in Heinrich Heines "Belsazar" oder
Rilkes Gedicht "Archaischer Torso Apollos", wo es am Ende heißt:
"Du musst dein Leben ändern!"
Aber wir alle wissen, dass das kein Mensch freiwillig tut und dass man die Menschen
mit Kunstprodukten kaum ändern kann. Es ist eher umgekehrt: Man macht sich
Feinde.
Und Frau Rieth kann davon ein Liedchen singen, oder um im Bild zu bleiben, ein
Bildchen malen! Hebt man die Schwächen einer Gesellschaft hervor, weist
man auf Ungerechtigkeiten hin, von denen der Philosoph Kant sagt, dass eine
Gesellschaft, die nicht gegen Ungerechtigkeiten kämpft, besser untergehen
würde, hebt man das Harte, Schlechte und Widersprüchliche hervor,
um zu zeigen, wie die Welt eben nicht sein sollte, dann wird man oft gefragt,
wo denn das Positive bleibe.
Nun, man kann solchen Fragen entgegenhalten, dass wir nicht mehr im Paradies
leben. Da aber unsere Welt in vielerlei Hinsicht mangelhaft ist, muss es einer
Malerin erlaubt sein, auf diese oft übersehende Mängel hinzuweisen,
um eine Veränderung hin zum Positiven einzuleiten.
Denn wer ständig in seinen Bildern ruft: Schaut her, so sollte die Welt
nicht sein, der wird, wenn er so hartnäckig ist wie unsere Malerin, schließlich
auch Leute dazu bewegen, mitzurufen und auch am Ende mit zu verändern.
Aber selbst als psychologischer Laie ist mir bekannt, dass das mehr oder weniger
ungehörte verhallende Rufen nach einer besseren Welt auch Auswirkungen
auf die eigene Befindlichkeit haben kann. Will man die Last und die Laster der
ganzen Menschheit auf seinen Schultern tragen und sich für die Schwächen
und Grausamkeiten, die Menschen einander zufügen, verantwortlich fühlen,
könnte man, wenn man kein positives Gegengewicht hat, melancholisch werden
und seine Aggressionen schließlich gegen sich selbst richten, wie es etwa
dem mutigen Journalisten und Schriftsteller Kurt Tucholsky erging, der sich
im schwedischen Exil 1935 das Leben nahm.
Nein, aus diesem Holz schwarzen Holz der Melancholie ist unsere Malerin nicht
geschnitzt.
Sie hat verschiedene Gegenmittel gegen das Resignieren entwickelt. Sie ist an
ihren Gegnern gewachsen, sie ist eine Kämpferin auch gegen die eigenen
körperlichen Schwächen, denen sie mit Selbstironie und einer Art verschmitztem
Humor, den man ja speziell den Rothaarigen nachsagt, entgegentritt.
Auch ihr "Kampf" gegen die Bürokratie des Kunstvereins oder gegen
diverse selbsternannte Kunstpäpste der Region hat sie eher gestärkt
als geschwächt.
Und so erwartet sie auch gar nicht , dass ihr die Kommunalpolitiker zum Geburtstag
mit Sekt und roten Rosen huldigen, dass sich große Galerien oder potente
Käufer um ihre Bilder reißen oder sie sich vor Interviewterminen kaum
retten kann.
Nein, die Mittel mit Mut und Anstand beharrlich weiter zu arbeiten, schöpft
sie aus sich selbst, aus ihrer Familie und dem Freundeskreis.
Das Renommieren ist nicht ihre Sache und allein die Tatsache, dass man eine
Akademie besucht hat, erzeugt nicht automatisch große Kunst.
Sie hat als Autodidaktin ein Bewusstsein entwickelt, das der französische
Maler André Derain seinen Schülern manchmal an den Rand ihrer Zeichnungen
schrieb: "Habt keine Angst, banal zu sein, wenn ihr Originalität habt,
dann wird sie schon irgendwann hervortreten ."
So sympathisch solide und unverkrampft arbeitet auch Harma-Regina Rieth, und
wie ich sie kenne, wird sie auch nach ihrem Geburtstag kaum Visitenkarten drucken
lassen, auf denen dann der Titel "Künstlerin" steht.
So bleiben - was die Bilder von Harma-Regina Rieth anbetrifft - auch nach dem
Geburtstag noch Fragen offen. Es sind aber Fragen, die letztlich auf die eine
Wesensfrage eines suchenden Menschen hinaus laufen, nämlich auf die Fragen,
was man selbst ist und was aus einem geworden ist und was man noch wird. Diese
Fragen nach dem Selbstverständnis schließt viele andere ein. Und
wenn wir bei ihr auf die Suche nach einer Antwort per Bild sind, kann es im
besten Falle so sein, dass andere mit uns fragen, wie man unsere Welt ein bisschen
sensibler, kurzum ein bisschen menschlicher machen kann.
In diesem nachdenklichen Sinne hat sich die Malerin auf den Weg gemacht. Ihre
Bilder sind Vorschläge zur Reparatur unserer Welt, Kostenvoranschläge
die uns ein freundlicher Mensch freundlich macht.
Bert Brecht, den ich in diesem Zusammenhang immer gerne mit dem Wunsch zitiere,
was auf seinem Grabstein stehen könnte, hat da eine Bescheidenheit an den
Tag gelegt, die uns alle in einer schnelllebigen Zeit, in der Sternchen, Coole
und Supercoole heute geboren und morgen vergessen werden, gut zu Gesicht stehen
würde, und gesagt:
"Er hat Vorschläge gemacht und wir haben sie angenommen, damit wären
wir alle geehrt."
Die Vorschläge liegen mit ihren Bildern auf dem Tisch, bzw. hängen
an den Wänden; nun liegt es an uns, den Betrachtern, uns in diese Solidargemeinschaft
einzubringen, denn das würde uns alle ehren.











